Verfassungsrecht: Die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz

Es kommt nicht von ungefähr, dass wir manchmal Menschen dahingehend beurteilen, ob sie in guter oder schlechter Verfassung sind. Denn die Verfassung bestimmt, nach welchen Regeln alle Organe des Körpers zusammenspielen müssen, damit es der Gesamtheit gut geht. Das ist bei jedem einzelnen Menschen so, aber auch beim Staat, den sich die früheren Staatsrechtstheoretiker ja auch als Körper vorgestellt haben (weswegen wir auch heute noch im Verwaltungsrecht mit Begriffen wie „Körperschaft“, „juristische Person“ und „Organ“ arbeiten).

Die Verfassung der Bundesrepublik heißt bekanntlich Grundgesetz. Aber nicht jeder weiß, dass nicht nur die Bundesrepublik ein Staat mit einer eigenen Verfassung ist, sondern auch die einzelnen Bundesländer eigene Staatsqualität haben. Die Folge ist, dass alle Bundesländer auch jeweils eigene Verfassungen haben.

Die rechtliche Auseinandersetzung mit diesen Verfassungen und den darin enthaltenen Regeln, nach denen die Organe des Staates zu handeln haben, ist Gegenstand des Verfassungsrechts. Von zentraler Bedeutung sind insoweit zunächst die Vorschriften über die staatliche Willensbildung, also die Grundanforderungen an die Wahlen der Parlamente, die Bildung der Regierungen sowie Einrichtung der Behörden, die Gesetzgebung und Gewährleistung einer unabhängigen und effizienten Rechtsprechung. Unsere Verfassungen kennen darüber hinaus aber mit den sogenannten Grundrechten auch Vorschriften, die den Mitgliedern des Staates, den Bürgern, eigene Rechte gegenüber dem Staat verleihen, und zwar eine Fülle verschiedener Abwehrrechte, aber auch Teilhaberechte, beispielsweise auf die Gewährung des sozialen Existenzminimums.

Wie Sie Ihre Grundrechte vor den Gerichten durchsetzen können

Die Grundrechte sind die wichtigsten Rechte, die Ihnen als Bürger:in in Deutschland zustehen. Sie schützen Sie vor Eingriffen des Staates in Ihre Freiheit, Würde und Gleichheit. Sie sind in den Artikeln 1 bis 19 des Grundgesetzes festgeschrieben und haben einen besonderen Rang, da sie nur mit einer Zweidrittelmehrheit des Bundestages und des Bundesrates geändert werden können. Die Grundrechte sind also die grundlegenden Werte und Prinzipien, die das Zusammenleben in einer demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaft ermöglichen. Aber wie können Sie Ihre Grundrechte effektiv einfordern, wenn Sie sich ungerecht behandelt fühlen? Und welche Rolle spielen die Verfassungsgerichte dabei?

Die Grundrechte binden alle staatlichen Organe

Die Grundrechte gelten nicht nur für das Handeln der Regierung oder des Parlaments, sondern auch für alle anderen staatlichen Organe, wie zum Beispiel die Polizei, das Ordnungsamt, das Finanzamt und so weiter. Das bedeutet, dass diese Organe bei ihrem Umgang mit Ihnen die Grundrechte respektieren müssen. Wenn sie das nicht tun, verletzen sie Ihre Grundrechte. Die Grundrechte sind also Abwehrrechte gegenüber dem Staat, die Ihnen eine gewisse Autonomie und Freiheitssphäre garantieren. Sie können sich auf Ihre Grundrechte berufen, wenn Sie der Meinung sind, dass eine staatliche Maßnahme oder Entscheidung Ihre Rechte verletzt oder einschränkt. Zum Beispiel können Sie sich auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen, wenn Sie wegen Ihrer politischen Äußerungen verfolgt werden, oder auf das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung, wenn Sie eine unrechtmäßige Durchsuchung erleiden. Die Grundrechte sind aber nicht absolut, sondern können unter bestimmten Voraussetzungen eingeschränkt werden, zum Beispiel wenn es um den Schutz anderer Rechtsgüter oder um die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung geht. Die Einschränkungen müssen aber immer verhältnismäßig sein, das heißt, sie müssen geeignet, erforderlich und angemessen sein, um das verfolgte Ziel zu erreichen.

Die Verfassungsgerichte sind die Hüterer der Grundrechte

Wenn Sie eine Grundrechtsverletzung feststellen, können Sie sich aber nicht direkt an die Verfassungsgerichte wenden. Die Verfassungsgerichte sind nämlich nicht dafür zuständig, Ihnen in jedem Einzelfall zu Ihrem Recht zu verhelfen oder für Gerechtigkeit zu sorgen. Sie sind auch nicht Teil des normalen gerichtlichen Instanzenzugs. Die Verfassungsgerichte haben vielmehr die Aufgabe, die Einhaltung der Verfassung als Ganzes zu überwachen und zu gewährleisten. Deshalb können Sie die Verfassungsgerichte nur in Ausnahmefällen anrufen, zum Beispiel wenn die einfachen Gerichte ein Grundrecht übersehen oder willkürlich entschieden haben. In Deutschland gibt es zwei Verfassungsgerichte: das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, das für die Auslegung des Grundgesetzes zuständig ist, und die Landesverfassungsgerichte, die die Landesverfassungen interpretieren. Die Verfassungsgerichte können zum einen von den anderen staatlichen Organen angerufen werden, wenn es um die Klärung von verfassungsrechtlichen Fragen geht, zum Beispiel bei einem Gesetzeskonflikt zwischen dem Bund und den Ländern oder bei einem Streit zwischen den Verfassungsorganen. Zum anderen können die Verfassungsgerichte von Ihnen als Bürger:in angerufen werden, wenn Sie sich durch eine staatliche Maßnahme oder Entscheidung in Ihren Grundrechten verletzt fühlen. Dies ist die sogenannte Verfassungsbeschwerde, die wir im nächsten Abschnitt näher erläutern werden.

Die Verfassungsbeschwerde ist das letzte Mittel zur Verteidigung Ihrer Grundrechte

Wenn Sie alle anderen Rechtsmittel ausgeschöpft haben und immer noch der Ansicht sind, dass Ihre Grundrechte verletzt wurden, können Sie als letzte Möglichkeit eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht oder beim zuständigen Landesverfassungsgericht einlegen. Die Verfassungsbeschwerde ist ein besonderes Rechtsmittel, das Ihnen die Möglichkeit gibt, sich direkt an die obersten Hüter:innen der Verfassung zu wenden. Sie müssen aber beachten, dass Sie die Verfassungsbeschwerde nur innerhalb einer bestimmten Frist einlegen können, die je nach Fall unterschiedlich ist. In der Regel beträgt die Frist ein Jahr ab dem Zeitpunkt, an dem die angegriffene Maßnahme oder Entscheidung Ihnen bekannt wurde. Außerdem müssen Sie genau begründen, welches Grundrecht durch welche staatliche Maßnahme oder Entscheidung verletzt wurde. Die Verfassungsbeschwerde ist also kein einfaches oder schnelles Verfahren, sondern erfordert viel Sorgfalt und Vorbereitung. Sie sollten daher unbedingt einen erfahrenen Anwalt:in hinzuziehen, der:die Ihnen bei der Formulierung und Einreichung der Verfassungsbeschwerde hilft. Die Verfassungsgerichte prüfen nicht jede Verfassungsbeschwerde, sondern nur diejenigen, die sie für besonders wichtig oder begründet halten. Wenn Ihre Verfassungsbeschwerde angenommen wird, kann das Verfassungsgericht verschiedene Entscheidungen treffen, zum Beispiel die angegriffene Maßnahme oder Entscheidung für nichtig erklären, eine Verletzung Ihrer Grundrechte feststellen oder eine Wiederholung des Verfahrens vor den einfachen Gerichten anordnen. Die Entscheidungen der Verfassungsgerichte sind für alle staatlichen Organe verbindlich und müssen von ihnen umgesetzt werden.


Die Verfassungsbeschwerde ist ein häufig genutztes Rechtsmittel in der Bundesrepublik Deutschland. Jährlich werden mehrere Tausend Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht und den Landesverfassungsgerichten erhoben. Die meisten davon richten sich gegen die Verletzung von Grundrechten aus dem ersten Abschnitt des Grundgesetzes, wie etwa das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder das Recht auf ein faires Verfahren. Jedoch haben nur wenige Verfassungsbeschwerden Erfolg. Nach Angaben des Bundesverfassungsgerichts wurden im Jahr 2019 von insgesamt 5.878 Verfassungsbeschwerden, die zur Entscheidung angenommen wurden, nur 160 teilweise oder ganz stattgegeben. Das entspricht einer Erfolgsquote von ungefähr 2,7 Prozent. Die geringe Erfolgsquote beruht zum einen darauf, dass viele Verfassungsbeschwerden den formalen Anforderungen nicht genügen oder keine ausreichende Begründung enthalten. Zum anderen beruht sie darauf, dass die Verfassungsgerichte nicht die Tatsachenfeststellungen der einfachen Gerichte überprüfen, sondern lediglich die Auslegung und Anwendung der Grundrechte. Daher müssen die Beschwerdeführer:innen nicht nur eine Verletzung ihrer Grundrechte, sondern auch eine willkürliche oder verfassungswidrige Rechtsanwendung nachweisen. Dies ist oft schwierig und erfordert eine eingehende Kenntnis der Rechtsprechung der Verfassungsgerichte. Die Verfassungsbeschwerde ist somit kein Allheilmittel, sondern ein außergewöhnliches Rechtsmittel, das nur in gravierenden Fällen in Betracht gezogen werden sollte.

Ihre Grundrechte müssen Sie vor den einfachen Gerichten geltend machen

Um Ihre Grundrechte effektiv zu schützen, müssen Sie sie daher vor den einfachen Gerichten in jedem einzelnen gerichtlichen Verfahren einbringen, also schon in der ersten Instanz. Nur so können Sie vermeiden, dass Ihre Grundrechte missachtet werden. Die einfachen Gerichte sind verpflichtet, die Grundrechte zu beachten und anzuwenden. Sie müssen also prüfen, ob die staatliche Maßnahme oder Entscheidung, die Sie anfechten, mit den Grundrechten vereinbar ist. Wenn Sie mit der Entscheidung des einfachen Gerichts nicht einverstanden sind, können Sie in der Regel noch weitere Rechtsmittel einlegen, zum Beispiel eine Berufung oder eine Revision. Diese Rechtsmittel dienen dazu, die Entscheidung des einfachen Gerichts auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Sie müssen aber auch hier die Fristen und Voraussetzungen für die Einlegung der Rechtsmittel beachten. Oftmals stehen Ihnen aber auch noch weitere Rechte aufgrund einfacher Gesetze zu, die Ihnen noch mehr Schutz bieten. Zum Beispiel können Sie sich auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz berufen, wenn Sie wegen Ihres Geschlechts, Ihrer Herkunft, Ihrer Religion oder einer anderen Eigenschaft diskriminiert werden, oder auf das Bundesdatenschutzgesetz, wenn Sie Ihre Privatsphäre verletzt sehen.

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