Promotionsordnungen sehen regelmäßig vor, dass eine durch Täuschung erlangte Promotion auch nachträglich wieder rückgängig gemacht und dadurch der vergebene Titel wieder entzogen werden kann oder, wie es die Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf (HHU) formulierte, in einem solchen Fall die Promotion für ungültig erklärt wird. Oft bestimmen Promotionsordnungen auch, dass eine Arbeit nicht gleichzeitig an einer oder mehreren anderen Universitäten eingereicht werden darf oder dass bereits an einer anderen Hochschule abgelehnte Arbeiten nicht angenommen werden können. Vielfach lassen sich die Hochschulen in diesem Zusammenhang im Wege einer eidesstattlichen Versicherung bestätigen, dass die bei ihr eingereichten Arbeiten diesen Anforderungen genügen und die Abgabe einer falschen Versicherung soll dann ebenfalls zum Entzug der Promotion führen können.
Nun stehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mitunter vor dem Problem, dass sie nicht für jede wissenschaftliche Arbeit das Rad neu erfinden können. Wer zum Beispiel in Humanwissenschaften forscht und sich in verschiedenen Projekten derselben Methode bedient, etwa eines eingeführten Fragebogens, wird in dem die Forschungsmethode beschreibenden Kapitel seiner Arbeit auffällig viele Gemeinsamkeiten mit anderen, selbstverfassten Arbeiten produzieren. Oder wer in Naturwissenschaften in der Spitzenforschung arbeitet, wird sich bei der einleitenden Beschreibung der Grundlagen weitgehend wiederholen. Und auch die Geschichte kann nicht für jede historische Forschungsarbeit neue entdeckt oder gar neu geschrieben werden. Personen, die ihr Forschungsgebiet in einer bestimmten Epoche oder einem bestimmten Zeitabschnitt gefunden haben, werden sich also ebenfalls in den Kapiteln, in denen der geschichtliche Rahmen oder die zeitliche Einbettung herausgearbeitet werden, wiederholen müssen.
So war es auch hier: Unser Mandant ist Historiker und hatte zwei Dissertationen verfasst. Beide Arbeiten betrafen zwar verschiedene Ereignisse beziehungsweise Themen und damit unterschiedliche Forschungsgegenstände, die aber beide in einem engen zeitlichen Rahmen lagen und in eine besondere historische Situation eingebettet waren. Damit waren die den jeweiligen wissenschaftlichen Wert der Arbeiten begründenden Kapitel zwar grundverschieden, aber ganz erhebliche Teile der Arbeiten, nämlich insbesondere diejenigen, die den historischen Kontext betrafen, waren schlicht gleich.
Die eine Arbeit hatte unser Mandant an der HHU eingereicht und wenige Wochen später die andere bei der Charité in Berlin. Beide Promotionsverfahren verliefen im Ergebnis erfolgreich. Viele Jahre später wurde der HHU dann angezeigt, dass die dort eingereichte Arbeit mit der, die an der Charité eingereicht war, über weite Bereiche ungekennzeichnete Übereinstimmungen enthalte, woraufhin die HHU ein Verfahren einleitete, an dessen Ende die Entziehung des Doktorgrades hätte stehen können.
In Betracht kamen verschiedene Gründe für eine Rücknahme, nämlich ein Plagiat, eine falsche Versicherung an Eides statt oder das zeitgleiche Einreichen von zwei gleichen Arbeiten bei zwei verschiedenen Universitäten.
Eigen- beziehungsweise Selbstplagiate, also ungekennzeichnete Übernahmen aus eigenen Arbeiten in einen weiteren Text, können grundsätzlich eine Täuschung in Prüfungen sein. Erforderlich ist dann aber, dass durch die ungekennzeichnete Übernahme von eigenen Texten bewusst die irrige Vorstellung bei den Prüfenden hervorgerufen wird, die Ausführungen in der neuen Arbeit seien ausschließlich in der Zeitspanne zwischen der Ausgabe des Themas und dem Abgabetermin entwickelt, formuliert und niedergelegt worden, obwohl sie bereits vorher vorhanden waren. [Das kann eine gefährliche Falle zum Beispiel für Personen sein, die eine Bachelor- oder Masterthesis nicht bestanden haben, im Zweitversuch aber ein sehr ähnliches Thema gestellt erhalten und dann Textpassagen aus der vorigen Arbeit übernehmen]. Bei einer Dissertation, für die - anders als bei Bachelor- oder Masterthesen - regelmäßig keine engen zeitlichen Abgabefristen gelten, spielt daher das Eigen- oder Selbstplagiat regelmäßig keine Rolle in Bezug auf einen Täuschungsvorwurf.
Allerdings kann in der ungekennzeichneten Übernahme von
eigenen Texten die Verletzung der Grundsätze der guten wissenschaftlichen
Praxis liegen. Aber auch hier liegt nicht gleich in jeder Übernahme aus eigenen
oder fremden Texten ein Verstoß gegen die gute wissenschaftliche Praxis. Gerade
in den eher methodischen oder einleitenden Kapiteln in wissenschaftlichen
Arbeiten muss nicht jede übernommene Ausführung als solche gekennzeichnet
werden, erst recht nicht, wenn es sich um die Beschreibung anerkannter und geläufiger Standards,
die Aufzählung oder Benennung allgemeingültiger Tatsachen, allgemein in der
wissenschaftlichen Fachgemeinde bekannte Gedanken oder gängiges Wissen handelt. Denn die
Dissertation ist eine Arbeit, die sich nicht an Laien, sondern das
wissenschaftlich interessierte Fachpublikum richtet. Und das weiß in diesen Fällen selber, "wer gerade zu ihm spricht".
Die eidesstattliche Versicherung war bereits deshalb nicht geeignet, eine Rücknahme der Promotion zu begründen, weil sie ja evident richtig war, denn zum Zeitpunkt der Einreichung der Arbeit an der HHU war die andere Arbeit ja gerade noch nicht an der Charité eingereicht. Und abgesehen davon dürfen Hochschulen eidesstattliche Versicherungen auch nur verlangen, wenn der Landesgesetzgerber sie dazu in dem jeweiligen Landeshochschulgesetz ausdrücklich ermächtigt hat. Das war hier zweifelhaft.
Hinsichtlich des wesentlichen fachlichen und wissenschaftlichen Kerns, nämlich betreffend die eigentlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse und damit der Verschiedenheit oder Gleichheit des jeweiligen wissenschaftlichen Gewinns der beiden Arbeiten, holte der Promotionsausschuss der HHU zunächst ein Gutachten ein, das er nachbessern ließ, bis es aus seiner Sicht zum richtigen Ergebnis kam. Dass das seinerseits auch nicht ansatzweise der guten wissenschaftlichen Praxis entspricht, liegt auf der Hand.
Auf unsere Stellungnahme hierzu legte der Promotionsausschuss die Sache dem Fakultätsrat vor. Dieser zog jetzt die Reißleine, lehnte den Antrag des Promotionsausschusses ab und teilte mit: „Die Promovierung wird … nicht zurückgenommen.“
Dr. Jürgen Küttner steht Ihnen insbesondere im Prüfungsrecht und im Beamtenrecht als hochqualifizierter Ansprechpartner zur Verfügung.