30. August 2024Verfassungsrecht

Volt NRW leitet mit teipel.law Verfahren vor dem Landesverfassungsgericht Nordrhein-Westfalen wegen verfassungswidriger Änderung des Kommunalwahlrechts ein

Der Landesverband NRW von Volt hat am 29. August 2024 ein Organstreitverfahren gegen die jüngste Änderung des Kommunalwahlrechts in Nordrhein-Westfalen beim Verfassungsgerichtshof eingeleitet.

Wann ist eine Wahl demokratisch?

Bei demokratischen Wahlen muss jede Stimme gleiches Gewicht haben. Dies gilt sowohl für die Stimmauszählung, die sogenannte Zählwertgleichheit, als auch für die möglichst gleiche Sitzverteilung nach dem Verhältnis der Stimmenanteile, die sogenannte Erfolgswertgleichheit. Denn nur so ist gewährleistet, dass alle Wählenden mit der Stimme, die sie abgeben, den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis haben. Das bedeutet, dass beispielsweise bei einer Wahl, an der drei Parteien teilnehmen, die jeweils gleich viele Stimmen auf sich vereinigen konnten, jede der Parteien jeweils ein Drittel der zu vergebenden Sitze erhält. Sind in dem zu wählenden Gremium neun Sitze zu vergeben, erhält jede Parte drei Sitze (Idealanspruch). Problematisch wird es aber schon, wenn 10 Sitze zu vergeben sind. Dadurch entstehende Restplätze müssen ebenfalls gerecht verteilt werden, und zwar dergestalt, dass sich auf lange Sicht der Idealanspruch verwirklicht.

Warum ist das neue Kommunalwahlrecht in NRW nicht demokratisch?

Die Erfolgswertgleichheit bei der Verteilung der Sitze sieht Volt aufgrund der Neuregelung von § 33 des Kommunalwahlgesetzes NRW und der dadurch erfolgten Einführung eines Quotenverfahrens mit prozentualem Restausgleich - oder auch „Rock-Verfahren“ genannt - anstelle des bisherigen Verfahrens nach Sainte-Laguë/Schepers, nicht mehr gewährleistet.

Denn die Änderung des Wahlrechts, die unter dem Vorwand durchgeführt wurde, ein mathematisches Problem beseitigen zu müssen, benachteiligt systematisch kleinere und neue Parteien. Die neuen Regelungen zur Restplatzvergabe führen dazu, dass größere Parteien wie CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN regelmäßig im Verhältnis zu ihrer Stimmenanzahl mehr Sitze erhalten, während gleichzeitig kleinere Parteien proportional weniger Sitze erhalten. Das führt dazu, dass kleinere Parteien deutlich mehr Stimmen für einen Sitz benötigen, während bei den großen Parteien weniger Stimmen pro Sitz genügen.

Dies verletzt die Chancengleichheit und erschwert es kleineren Parteien, in die Kommunalparlamente einzuziehen oder Fraktionen zu bilden.

Was sagen Stimmen aus der Wissenschaft?

Die Kanzlei teipel hat das neue Wahlsystem (Rock-Verfahren) eingehend mathematisch analysieren lassen und es mit den anderen, gängig verwendeten Verfahren wie Sainte-Laguë und Hare/Niemeyer verglichen. Dr. Jürgen Küttner, mandatsführender Rechtsanwalt von teipel, kommt - wie auch andere - zu dem Ergebnis, dass das Rock-Verfahren de facto die notwendige Mindestquote für das Erreichen eines Erstmandats erhöht. Das Rock-Verfahren entfernt sich auch jeweils am weitesten von dem Idealanspruch, was nicht nur für einzelne Wahlergebnisse zutrifft, sondern auch, wenn man verschiedene Wahlergebnisse untersucht und mit verschiedenen Abweichungen simuliert. “Die von uns durchgeführten Simulationen ergaben, dass das Rock-Verfahren in allen ... simulierten Wahlkreisen im Mittel am stärksten vom Idealanspruch der Mandate abwich, wenn es mit den bisherigen Verfahren zur Sitzzuteilung verglichen wird.”, so Dr. Jürgen Küttner von teipel. Bei der Restsitzzuteilung des Verfahrens werden größere Parteien systematisch zum Nachteil von kleineren Parteien bevorzugt, was für Kleinparteien je nach Konstellation zu signifikanten Nachteilen führen kann.

Wie wirkt sich das bei Wahlen aus?

Hätte es das Rock-Verfahren bereits bei der letzten Kommunalwahl 2020 gegeben, hätte es sich in Paderborn beispielsweise so ausgewirkt:

Simulation Wahlergebnis Volt
Simulation Wahlergebnis Volt

Die Darstellung zeigt deutlich, dass alle kleinen Parteien einen Sitz abgeben müssten, während alle größeren Parteien einen Zugewinn verzeichnen. Es zeigt insbesondere, dass das Rock-Verfahren strukturell kleine Parteien zugunsten großer Parteien benachteiligt.

Wie konnte es dazu kommen?

Bemerkenswert ist, dass die Abgeordneten des Landtags NRW während des Gesetzgebungsverfahrens zunächst mit zwei aus dem Zusammenhang gerissenen Rechenbeispielen konfrontiert wurden, die ein - aus Sicht von Sachverständigen - mathematisch nicht vorhandenes Problem bezüglich der Erfolgswertgleichheit suggerierten. Zudem lag zum Zeitpunkt des Landtagsbeschlusses jedenfalls den Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - und damit zwei in NRW großen Parteien, die bezeichnenderweise die Regierungsparteien sind - ein Gutachten vor. Aus diesem von ihnen selbst in Auftrag gegebenen Gutachten ergibt sich bereits aus dem Inhalt der ersten Seite, dass das Rock-Verfahren dem bisherigen Sitzverteilungsverfahren „unterlegen“ ist (sogenanntes Gutachten Pukelsheim). Später heißt es in diesem Gutachten eindeutig: „Das Rock-Verfahren ist dem Sainte-Laguë-Verfahren … unterlegen, insbesondere hinsichtlich der Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen …“ Dieses Gutachten wurde aber dem Landtag vor seiner Abstimmung anscheinend nicht vorgelegt.

Wie geht es weiter?

Es ist in sich widersprüchlich, wenn eine möglichst hohe Erfolgswertgleichheit gewährleistet werden soll, das Rock-Verfahren einzuführen, das genau das Gegenteil bewirkt, indem es kleinere Parteien systematisch benachteiligt und größere Parteien bevorzugt. Eine solche Entscheidung des Landtags NRW ist nicht mehr von seinem Gestaltungsspielraum gedeckt.

Darüber zu befinden, liegt nun in den Händen des Verfassungsgerichtshofes des Landes Nordrhein-Westfahlen.

Kontakt:

Teipel & Partner Rechtsanwälte PartG mbB

RA Dr. Jürgen Küttner (federführend)

E-Mail: presse@teipel.law

Von Teipel & Partner mandatsführend:

Weitere Informationen zu Dr. Jürgen Küttner

  • Spezialist im Prüfungsrecht und Beamtenrecht 
  • Fachanwalt für Verwaltungsrecht seit 2008. 
  • Promotion zum Dr. „in utroque iure“ (kanonischem und weltlichem Recht)
  • Über 500 persönlich geführte Verfahren im Prüfungsrecht/Hochschulrecht
  • Erfolge vor dem Bundesverwaltungsgericht (sowohl Revisionsnichtzulassungsbeschwerde als auch Revision) wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und dem Bundesfinanzhof.

Dr. Jürgen Küttner steht Ihnen insbesondere  im Prüfungsrecht und im Beamtenrecht als hochqualifizierter Ansprechpartner zur Verfügung.  

Dr. Jürgen Küttner war mandatsführend in folgenden Verfahren

Weitere Erfolgreiche Verfahren:

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